Geld und Finanzsystem

– Der wirkliche Sinn und Zweck der Zinsen und woher sie überhaupt stammen

Autor: Paul Simek
keywords: #Bank, #Zins
Der Zins aber ist Geld von Geld, so dass von allen Erwerbszweigen dieser der naturwidrigste ist.
Aristoteles, 384 – 322 v. Chr.
Was jemand von seinem Einkommen erspart, fügt er dem Kapital hinzu und verwendet es entweder selbst … oder lässt es andere tun, indem er es ihnen gegen Zinsen, d.h. für einen Anteil am Gewinn leiht.
Adam Smith, schottischer Moralphilosoph, Ökonom, Ahnherr der Marktwirtschaft
Das Kreditsystem, das seinen Mittelpunkt in den angeblichen Nationalbanken und den großen Geldverleihern und Wucherern hat, ist eine enorme Zentralisation und gibt dieser Parasitenklasse eine fabelhafte Macht, nicht nur die industriellen Kapitalisten periodisch zu dezimieren, sondern auf die gefährlichste Weise in die wirkliche Produktion einzugreifen – und diese Bande weiß nichts von der Produktion und hat nichts mit ihr zu tun.
Karl Marx

Das numerische Beispiel im vorigen Artikel – siehe rechts die Kategorie: Geld und Finanzsystem – stellte ein einfaches Modell der ganzen Volkswirtschaft dar. Das Modell sollte deshalb die ganze Wirtschaft – natürlich im Prinzip – präsentieren, weil sich ökonomische Probleme nicht ohne gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge verstehen lassen. Damit wird der Standpunkt vertreten, dass es unwissenschaftlich ist, das Ganze in seine Teile zu zerlegen und sie an sich zu untersuchen. Das Ganze ist mehr als eine einfache Summe seiner Teile (mehr…). Methodisch besonders falsch ist es, wenn man sich einen Teil des Ganzen nach Wunsch herausnimmt, ihn dann losgelöst untersucht und daraus gezogene Schlussfolgerungen – pars pro toto – auf das Ganze überträgt. Wen man zum Beispiel auf diese Weise Zinsen untersucht, kommt man zu einem irrwitzigen Ergebnis, das als Josephspfennig bekannt ist. Das werden wir uns zum Schluss auch kurz anschauen:

Unser Beispiel im vorigen Artikel war einfach, und als solches reichte es aus, als es darum ging, den Tausch und die Bankentransaktionen zu diesem Tausch zu erklären. Um Zins zu erklären werden wir es ein wenig erweitern müssen. Deshalb ist es angebracht, das gleiche Beispiel noch einmal darzustellen – auch um nicht zurückblättern zu müssen.

Nettoeinkommen
(Wertschöpfung)
Nettoeinkommen
(Wertschöpfung)
Nettoeinkommen
(Wertschöpfung)
 Nettoeinkommen:   
Sektor 1: 1000
Sektor 2: 1000
Sektor 3: 2000
4000
Konsumproduktion:
Sektor 1: 0
Sektor 2: 0
Sektor 3: 4000
4000

Sektor 2 produziert Rohstoffe und Halbfabrikate, Sektor 1 Maschinen und Anlagen und Sektor 3 Konsumgüter. Die externen Inputs der Sektoren beinhalten verschiedene Leistungen bzw. dafür ausbezahlte Einkünfte (Löhne, Sondervergütungen, Profite, Dividenden, Grundrente, Zinsen, …), die in der Wirtschaft einerseits als Kosten und andererseits als Nettoeinkünfte fungieren. Diese Inputs stellen also die sog. Wertschöpfung dar.

Das Flussdiagramm ist eigentlich eine grafische Darstellung der Wirtschaft im Gleichgewicht. In einem solchen Zustand sind alle Güterströme – gemessen in (absoluten) Geldpreisen – geschlossen. Dies betrifft jeden einzelnen Sektor, aber den Konsummarkt genauso: Die gesamte Nachfrage nach den Konsumgütern, also die Summe der externen Inputs oder Nettoeinkünfte aller Sektoren (1000+1000+2000) ist gleich dem gesamten Angebot an Konsumgütern, nämlich dem Output des Sektors 3 (4000). Das wird in der Tabelle rechts dargestellt. Man bezeichnet einen solchen Zustand auch als Gleichgewicht. Heben wir noch hervor, dass wir in unserem Fall ein stationäres Gleichgewicht haben. Die Wirtschaft kann natürlich auch wachsen und zugleich im Gleichgewicht sein, sie muss es aber nicht – damit beschäftigen wir uns in den nächsten Artikeln.

Die Zahlen in unserem Modell beziehen sich auf einen Zeitabschnitt, man sagt auch Reproduktionsperiode. Wir können annehmen, dass eine Reproduktionsperiode ein Jahr dauert – eine andere zeitliche Einheit wäre aber im Prinzip genauso gut. Um es besser zu verdeutlichen, stellen wir die Produktion, so wie sie abgelaufen ist, separat für jeden der drei Sektoren, tabellarisch dar. Alle Zahlen dieser Tabelle sind aus dem Kreislaufdiagramm entnommen, was eigentlich offensichtlich ist.

t Produktionsprozess
Sektor 1:
Sektor 2:
Sektor 3:
K Ÿ Y
2500.00 + 1000.00 = 3500.00
1500.00 + 1000.00 = 2500.00
2000.00 + 2000.00 = 4000.00

Mit K sind Produktionsgüter dargestellt – man sagt auch reales Kapital -, die die Sektoren während der Produktion verbrauchen (und verschleißen), mit Ÿ die Wertschöpfung. Die letzte Spalte (Y) stellt den Preiswert der gesamten Produktion des jeweiligen Sektors dar. Die Wertschöpfung zeigt, um wie viel Güter die Wirtschaft mehr geschaffen hat, als sie in Form von verbrauchten und verschlissenen Produktionsmitteln (Kapital) entwertet hat. Konkret ist der Gesamtwert der Wertschöpfung der ganzen Wirtschaft 4000. Wir schauen uns jetzt die Wertschöpfung genauer an, weil uns sie zu den Zinsen führt.

Zinsen als die Folge der Trennung zwischen Eigentum und Unternehmertum

Im ersten Schritt nehmen wir an, dass sich die Wertschöpfung aus zwei Teilen zusammensetzt. Was der Besitzer der Produktionsgüter oder anders ausgedrückt Kapitalist verdient, nennt man Gewinn oder Profit, der Rest sind die Löhne der Arbeiterklasse – der abhängig Beschäftigten. Marx hat in seinem ökonomischen Hauptwerk Das Kapital angenommen, dass auf die Löhne die Hälfte der Wertschöpfung entfällt, die andere Hälfte („Mehrwert“) bezieht der Kapitalist – ohne etwas zu leisten. Der Anteil der Löhne an der ganzen Wertschöpfung bezeichnet man als Lohnquote, die im Fall von Marx 50% betragen hat. Erwähnen wir auch noch, dass die Lohnquote nach dem Zweiten Weltkrieg auf 70% stieg, seit der neoliberalen Konterrevolution fällt sie immer weiter, so dass sie wieder einmal den Stand aus dem 19. Jahrhundert, also 50% ansteuert. Marx lässt grüßen. Seine Theorie von der Verelendung der Arbeiterklasse und der industriellen Reservearmee ist ein einhalb Jahrhunderte nach seinem Tod lebendiger und richtiger als je.

Von der Produktionsseite her betrachtet sind die Löhne und die Profite – die ganze Wertschöpfung – Kosten. Für die ganze Volkswirtschaft unseres Beispiels betrachtet, also makroökonomisch, bestehen die gesamten Kosten aus folgenden Aggregaten:

6000 (Kapitalverbrauch) + 2000 (Löhne) + 2000 (Profit)

Im nächsten Schritt wollen wir uns die Profite genauer anschauen. Bei den klassischen Ökonomen gehörten sie vollständig den Kapitalisten, die zugleich diejenigen waren, die die ganze Produktion organisieren und beaufsichtigen. Deshalb konnte man nicht von einem reinen leistungsfreien Einkommen sprechen, wie es Marx und manche Sozialisten getan haben. Der klassische Kapitalist war also nicht nur ein Eigentümer („Rentner“), sondern zugleich auch ein Unternehmer. Da hat sich aber sehr bald einiges geändert. Dank dem Finanzsektor bzw. den Banken kann man sich Geld ausleihen und eine Firma gründen. Diejenigen, die dann die ganze Produktion organisieren und beaufsichtigen, bezeichnet man nicht als Kapitalisten, weil sie nicht Eigentümer sind, sondern als Unternehmer, oder üblicherweise als Manager. Um diesen Fall vollständiger darzustellen, wollen wir unser Modell ein bisschen erweitern. Unser Flussdiagramm erfasst nämlich nicht das ganze Kapital (Produktionsmittel) der Wirtschaft bzw. der Sektoren und dieses soll jetzt berücksichtigt werden.

Eine Firma oder Sektor, um bei unserem Beispiel zu bleiben, kann nämlich nicht nur mit dem Kapital arbeiten, das im obigen Bild mit den internen Inputs der Sektoren dargestellt ist. Diese Inputs erfassen nur den verbrauchten Anteil am Gesamtkapital des jeweiligen Sektors. Konkret gesagt: Eine Maschine verschleißt sich (normalerweise) nicht schon während einer Reproduktionsperiode, unser Flussdiagram zeigt jedoch alleine diesen verschlissenen Teil der Maschine (Amortisation). Dasselbe gilt auch für die anderen Produktionsgüter: Anlagen, Gebäude, Fahrzeuge, … Diese langlebigen Produktionsgüter kann man auch nicht nur zum Teil kaufen; man kauft bekanntlich ganze Maschinen, Anlagen, Gebäude, Fahrzeuge, …  und sie müssen auch so ausbezahlt werden. Wenn man den ganzen Kapitalbestand einer Wirtschaft betrachtet, spricht man vom Kapitalstock. Das Verhältnis zwischen dem Wert des ganzen Kapitalstocks, und dem verschlissenen Anteil ist keine theoretische, sondern eine rein empirische Größe, worüber uns Statistiker mehr sagen können. Da wäre zum Beispiel die statistische Größe Kapitalkoeffizient sehr nützlich. Wenn der Wert dieses Koeffizienten 3 wäre, was etwa der Erfahrung entspricht, dann würde die Wirtschaft in unserem Beispiel neben dem verbrauchten Kapital auch noch Kapital im Wert von 24000 im Besitz haben. In Zahlen dargestellt hätten wir dann:

24000 (Kapitalstock) | 6000 (Kapitalverbrauch) + 2000 (Löhne) + 2000 (Profit)

Und nun kommen wir zur wichtigen Frage, wem das Kapital gehört? Rein theoretisch betrachtet, ließe sich das ganze Kapital aus dem geliehenen Geld finanzieren. Diejenigen, die das Geld ausgeliehen haben, man nennt sie auch Sparer und Gläubiger, werden einen Anteil des erwirtschafteten Gewinns für sich verlangen. Diesen Anteil des Gewinns bezeichnet man auch als Zins. Im schlimmsten Fall, wenn das ganze Kapital der Wirtschaft in unserem Beispiel fremdfinanziert würde und die Manager den ganzen Gewinn (2000) für Zinsen ausrücken müssten, würde der Zinsfuß etwa 6% betragen. Normalerweise vermittelt die Bank zwischen den Sparern bzw. Gläubigern und den Managern bzw. den Schuldnern. Die Bank wird natürlich einen Teil der Gewinne für sich behalten. Der Zins, den die Geldbesitzer- also Gläubiger oder Sparer – bekommen, muss kleiner sein als derjenige, den die Manager aus dem erwirtschafteten Gewinn (Wertschöpfung) der Bank bezahlen. So haben die deutschen Banken, z. B. im Jahre 2008, von den eingenommenen 433 Mrd. Euro Zinsen 342 Mrd. an die Sparer ausgezahlt und 91 Mrd. für sich behalten.

Jetzt stellt sich die Frage, was würde sich in einer Wirtschaft, wenn das Kapital (Produktionsgüter) der Privatfirmen nicht jemandem gehört, ändern? Aus unserem Beispiel ergibt sich, dass diese Wirtschaft gleiche Mengen von gleichen Gütern herstellen könnte, und auch der Tausch würde dasselbe bleiben. Im Grunde würde sich nur der Name des Gewinns ändern: Im ersten Fall spricht man von Profit und im anderen von Zins.

Wenn wir aber weiter nachdenken, fällt uns schnell ein, dass wir bisher eine stationäre Wirtschaft betrachtet haben, also eine in der sich nichts mehr ändert. Anders gesagt, wir haben die Änderungen – die Dynamik – außer Acht gelassen. Wir haben also gerade das weggelassen, was für die Marktwirtschaft besonders wichtig ist. Da drängt sich die Frage auf, ob Zinsen für eine wachsende Wirtschaft das Problem darstellen. Das werden wir im nächsten Artikel näher untersuchen. Schon jetzt kann aber gesagt werden, dass dies nicht der Fall sein wird. Das Problem mit dem Zins liegt anderswo und dieses Problem wollen wir uns jetzt näher anschauen.

Warum sich Zinsen in der Geschichte immer wieder als gefährlich erwiesen haben

Die sakralen Bücher der großen Religionen befassen sich bekanntlich nicht mit ökonomischen Themen, aber eine Ausnahme finden wir seltsamerweise sehr oft, wenn es nämlich um Zinsen geht. Ihnen wurden sehr strenge Grenzen gesetzt – was sogar der Ahnherr der Marktwirtschaft Adam Smith verlangt hat – oder sie wurden sogar verboten. Man kann sich fragen, ob dies nur ein Zufall war. Nein, ein Zufall war das nicht. Die Zinsen haben sich in der Tat als problematisch erwiesen und das hatte seine Gründe. Diese Gründe waren den Verfassern der sakralen Texte bestimmt bekannt, weil sie Menschen und ihre Lage gut kannten. Denn was für ein Mensch ist nämlich derjenige, der das Geld leiht (Gläubiger) und was für einer derjenige, der das Geld empfängt (Schuldner)?

Wenn sich jemand Geld leiht, um zu wirtschaften – um Unternehmer zu werden -, muss er davon ausgehen, dass ihm die erwirtschafteten Einkünfte so viel einbringen, dass er nicht nur alle Kosten decken kann – die des Kapitals (Amortisation) und die Löhne -, sondern dass es auch für die Zinsen ausreicht. Kann aber ein Unternehmer mit Sicherheit davon ausgehen, dass er soviel erwirtschaften wird? Das kann er nicht. Ein Unternehmen ist immer ein Wagnis mit unbestimmtem Ausgang, ein Risiko. Aber dieses Risiko geht doch auf den Geldverleiher zurück! – würde man meinen. Das wirkliche Problem besteht darin, dass dies weitgehend nicht der Fall ist. Das schauen wir uns genauer an.

Was macht nämlich der Gläubige in der Zeit, in der sich der Schuldner bzw. der Unternehmer alle Mühe gibt, mit dem geliehenen bzw. investierten Geld so viel wie möglich zu erwirtschaften, dass es zumindest für die Kostendeckung – die Zinsen eingeschlossen – reicht? Die einfachste Antwort ist: Nichts. Der Geldverleiher muss nichts machen – er kann die ganze Zeit hindurch Däumchen drehen. Schon das verletzt das Gerechtigkeitsgefühl. Im Interesse des Gläubigers liegt aber, dass er sein Risiko minimiert. Wie man es tun kann, ist den Geldverleihern schon seit Jahrtausenden bekannt. Sie verleihen ihr Geld nur gegen Pfand (Hypothek). So bleibt der Gläubiger schließlich der einzige, der das Risiko trägt. Die ökonomischen und sozialen Folgen können dann katastrophal sein.

Derjenige, der schon zuvor Geld besaß, also der Reiche, kann nur gewinnen, wenn derjenige, dem er sein Geld augeliehen hatte (Schuldner) erfolgreich war, verlieren kann er nie. Und das kann nicht auf lange Zeit gut gehen. Nicht nur deshalb, weil die Reichen immer reicher werden, sondern weil die Zahl derjenigen, die zum Schluss noch etwas als Pfand (Hypothek) besitzen, damit sie sich überhaupt Geld leihen können, schrumpft und damit auch die Wirtschaft schrumpft, weil die Unternehmer langsam aussterben. Was tun?

Schon nach dem Codex Hammurabi (um 1750 vor Christus) wurden die Schulden bei Überschwemmungen und Dürre erlassen. Die Herrscher dieser babylonischen Dynastie machten tabula rasa. Die Bodenrechte und andere Ansprüche fielen an den Schuldner zurück, um die Ordnung im Sinne eines „ursprünglichen“ Gleichgewichts wiederherzustellen, sonst würde der Staat kollabieren. Bei den Römern gab es dieselben Probleme. Populistische Führer setzten sich dann durch, indem sie sich für einen Schuldenerlass einsetzten, wie etwa Catilina im Jahre 63 vor Christus. Oft wurden sie getötet, weil der Schuldenerlass den Gläubigern nie gefallen konnte. Und das, was man schon seit Jahrtausenden erfahren hat, erleben wir wieder. Nach drei Jahrzehnten der neoliberalen Konterrevolution haben die Reichen durch das Finanzsystem das Volk ausgeplündert, und die Wirtschaften der früher sehr erfolgreichen Länder kollabieren (mehr…).

Wenn mit eigenem Kapital gewirtschaftet wird, gibt es diese Probleme nicht. Ist ein Unternehmer erfolglos, verliert er nur seine Firma aber kein Pfand (Hypothek). Er ist nicht ganz ruiniert und enteignet. Aus dem einfachen Vergleich bietet sich unmittelbar die Lösung, Zinsen zu verbieten. Damit hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wie kann nämlich dann ein fähiger Mensch, der nicht genug Finanzmittel hat, beginnen zu unternehmen?

Eine Wirtschaft ohne Zinsen, wie der Feudalismus gezeigt hat, kann nachhaltig funktionieren, aber ihre Effizienz wird sehr leiden. Man fragt sich jetzt, wie konnte es im späten Mittelalter dann überhaupt passieren, dass im christlichen Abendland das Zinsverbot aufgehoben wurde? Bekanntlich galt es Jahrhunderte lang als unbestritten, dass Zinseinnahmen der sichere Weg in die Hölle sind, und dann, irgendwann, wurde das genaue Gegenteil zur sakralen Wahrheit erklärt. Gerade der Sparer, der gegen Zinsen Geld verleiht, sollte der Gottgefälligste sein, zuerst in der protestantischen Ethik (Max Weber) und dann in allen christlichen Lehren. Es gibt nur eine rationale Erklärung dafür.

Im späten Mittelalter wurden neue Kontinente entdeckt, die sich mit ihren Naturschätzen und der schutzlosen Bevölkerung unternehmerisch mit großem Gewinn ausbeuten ließen. Auf den Punkt gebracht: Die Eroberung der Kolonien hat die Chancen für deutlich größere Gewinne als in den Jahrhunderten zuvor erhöht, die Risiken hielten sich aber in Grenzen weil die Eingeborenen keine Chance gegen die Schusswaffen der westlichen Plünderer hatten. Die neuen Investitionen benötigen viel Kapital, das man ohne Zinsen nicht bekommen konnte. Nun musste – wie schon immer – die heilige Schrift den profanen Interessen weichen. Die Zinsen konnten als gottesgefällig erklärt werden, damit das Geld der Sparer frei in die Wirtschaft fließt. Das Land, das trotzdem keinen Gebrauch davon machen wollte, hatte dann schlechte Karten im Kampf um die neuen Kolonien – in der neuen Verteilung der Welt.

Josephspfennig: Die berühmteste kabarettistische und esoterische Geschichte über Zins

Einer der wichtigsten Vordenker der Moderne, der Philosoph Baruch de Spinoza (1632-1677) schrieb:

„Denn wer unter den Menschen gelebt hat, weiss, wie im Glück selbst die Thörichten sich so von Weisheit erfüllt halten, dass sie es übel nehmen, wenn man ihnen einen Rath geben will. Aber im Unglück wissen sie nicht, wohin sie sich wenden sollen. Dann flehen sie Jedweden um Rath an und folgen selbst den verkehrtesten, unsinnigsten und eitelsten Vorschlägen. | Tractatus theologico-politicus, Vorrede.“

Das lässt sich auch für ganzen Gesellschaften feststellen. Heute, da der Kapitalismus mit Hilfe des Finanzsektors das Volk ausgeplündert hat und seine nächste zyklische Krise durchmacht, wird wieder nach „verkehrten, unsinnigen und eitlen Vorschlägen“ gesucht und dabei wurde auch manches wiederbelebt, wovon man noch vor kurzer Zeit als selbstverständlich annahm, dass es unwiderruflich zur Geschichte gehöre. Das Zinsverbot gehört dazu. Man hat sich aber neue Beweise ausgedacht, nachzuweisen, warum der Zins die Ursache aller Übel sein sollte. Weil die erfolgreichen Wissenschaften diejenigen sind, welche die Mathematik benutzen, so der neue Einfall, hat man die angeblich teuflische Wirkung des Zinses nun mathematisch streng „nachgewiesen“. Nach diesem „Beweis“ sollten die Zinsen, von ihrer inneren Natur her, immer und unbedingt so viel Schulden verursachen, dass die Wirtschaften, in denen sie nicht verboten werden, früher oder später kollabieren müssen. Dieser mathematisch „exakte“ Beweis sieht dann wie folgt aus:

Joseph hat für seinen Sohn Jesus vor 2012 Jahren einen Euro-Cent zu 1% Verzinsung angelegt und danach jedes Jahr die Summe samt dem Zins immer weiter angelegt. Wie hoch würde diese Summe heute, also am 31. Dezember des Jahres 2011 sein? Die Mathematik, um dies auszurechnen, ist nicht besonders kompliziert:

Jahr 1: 1+0,01 = 1.01^1

Jahr 2: (1.01^1) + (1.01^1)*0.01 = 1.01^1*1.01 = 1.01^2

Jahr 3: (1.01^2) + (1.01^2)*0.01 = 1.01^2*1.01 = 1.01^3

Jahr 2011: 1.01^2011

Jetzt nimmt man den Taschenrechner in die Hand, schreibt 1.01, dann drückt man die Taste „ yx “, schreibt danach die Zahl 2011 und drückt „ = “. Es erscheint die Zahl

490.097.714

also die Nachfahren von Joseph würden am 31. Dezember im Jahre 2011 auf ihrem Sparkonto 490 Millionen Pfennig besitzen. Man kann anstatt 1.01 etwa die Zahl 1.05 nehmen, das würde der Verzinsung von 5% entsprechen und was dann passiert, will man nicht glauben. Man vermutet einen Tippfehler, man wiederholt alles, dann noch einmal, zweimal, … aber es kommt immer dasselbe. Schon bei 5% Zins explodiert nämlich das Endergebnis sozusagen. Nebenbei bemerkt, die verschuldeten südeuropäischen Länder müssen in der letzten Zeit sogar 6% und mehr zahlen.

Ist der Josephspfennig nicht ein endgültiger Beweis dafür, dass Zins an sich zerstörerisch ist, so dass ihn der Teufel persönlich hatte erfinden müssen? Bevor wir diese Frage beantworten, versuchen wir uns mit einem anderen Beispiel schlauer zu machen.

Nehmen wir an, die Menschheit existiert seit Adam und Eva – woran heute die amerikanischen talibanisierten Christen ernsthaft glauben -, und das sind 7 Tausend Jahre. Nehmen wir an, jede Frau hätte seitdem bis zu ihrem 20. Lebensjahr 1.20 Jungen und 1.20 Mädchen geboren. (Für die Männer lassen wir einfachheitshalber, dass sie keine Kinder geboren haben.) Warum gerade 1.20? Diese Zahl bedeutet, dass die Bevölkerung sich pro Jahr um 1% vergrößert hat, was eine Steigerung wie bei dem Josephspfennig ergibt. Nach 350 Generationen bekäme man (1.20^350) die Zahl 5.17^27, die wir noch mit 2 multiplizieren sollten, weil es 2 Kinder pro ein Paar sind. Da wir mit dieser Zahl nichts anfangen können, dividieren wir sie durch 10 Milliarden, was grob genommen der Zahl der Menschen auf unserem Planeten entspricht. Dann bekommen wir nach unserer Rechnung, dass heute auf jeden einzelnen Menschen – sowohl das neugeborene Kind als auch die Greisen – auf unserem Planeten so viele Menschen kommen würden:

10. 000. 000. 000. 000. 000. 000    ( = 10 Milliarden Milliarden )

Angesichts dieses Ergebnisses könnten wir ahnen, dass der Josephspfennig doch kein Beweis, sondern eher ein Denkmal für die menschliche Dummheit ist. Wir ahnen schon, wie beim Josephspfennig getrickst wurde: Man hat einfach alles, was wichtig ist, weggelassen. Erwähnen wir nur die Inflation. Hätte sie in den vergangenen 2011 Jahren 1% pro Jahr betragen, dann würde man durch Zinseszins zwar dasselbe einsparen, was wir ausgerechnet haben, aber die reale Kaufkraft dieser Summe wäre weiterhin 1 Josephspfennig geblieben. Jetzt leuchtet uns ein, warum in der Geschichte immer wieder das Geld „angepasst“ wurde, warum Nullen gestrichen wurden. Erwähnen wir auch noch, dass der „Trick“ mit dem Josephspfennig auch deshalb funktioniert, weil stillschweigend angenommen wird, dass der Wille zum Sparen ausreicht, um sparen zu können, einen bereitwilligen Schuldner, der imstande wäre den Zins zu erwirtschaften, würde man immer leicht finden. Das ist natürlich ein ordentlicher Unsinn. Wie wir aber gesehen haben, ist die Zinssumme durch Gewinn beschränkt. In unserem Beispiel wäre diese Grenze 2000 und danach würde sich keiner Geld leihen können und wollen, weil er keine Zinsen zahlen könnte.

Last but not least: Eine unglaubliche und törichte Geschichte findet ihre Anhänger auch deshalb, weil hinter ihr persönliche Interessen stehen. Wir können leicht herausfinden, wessen Interessen hinter dem Josephspfennig stecken. Wenn jemand sein Unternehmen heruntergewirtschaftet hat, denkt er sich gern aus, dass alles doch hätte gut laufen können, hätte er Kosten senken können: Wären die Löhne nicht um 3%, sondern etwa um 1% oder gar nicht gestiegen; hätte er an Zinsen nicht 8%, sondern 5% oder 2% zahlen müssen, oder gäbe es gar keine Zinsen, dann hätte er bestimmt nicht in Konkurs gehen müssen. Er will nichts davon wissen, dass dann auch die anderen Unternehmer niedrigere Kosten hätten und damit der Abstand zu ihnen gleich geblieben wäre.

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